Die Thomasnacht
Die Nacht auf den 21. Dezember ist die längste, dunkelste, unheimlichste Nacht des Jahres. Deswegen verband man diese schier endlose Nacht und den darauffolgenden kürzesten Tag mit der Geschichte des Apostel Thomas, des Zweiflers.
Besonderes Brauchtum hatte seinen Platz in dieser Nacht, in der nach der Vorstellung der Menschen böse, unheilbringende Gestalten besonders lange und intensiv umgingen. Junge Männer hatte die verantwortungsvolle Aufgabe aufzupassen, dass die Geister in dieser Nacht nicht die Oberhand gewinnen konnten. Also musste man wach bleiben und sich Mut antrinken, deswegen nannte man die Thomasnacht auch „Durchsitznacht“, den Morgen danach „Kotzmorgen“.
Die Thomasnacht als erste der zwölf Raunächte war traditionell mit dem Aberglauben verbunden einen verstohlenen Blick in die Zukunft werfen zu können, insbesondere auf die Liebschaften des kommenden Jahres.
Zeige mir den Liebsten mein,
wenn es klopft ruf ich herein.
(Schorndorf)
Wie teilweise auch in der Weihnachts- und der Silvesternacht war ein verbreiteter Brauch das Bleigießen. Ein ausgedienter Schlüssel mit durchlöchertem, bestenfalls kreuzförmigem Bart wurde eingeschmolzen und in kaltem Wasser abgeschreckt. Das so entstandene Gussstück erlaubte einen Blick in die Zukunft. So konnte man durch die Form auf den Beruf des zukünftigen Mannes schließen. Ein Messer deutete auf einen Metzger, eine Bretzel auf einen Bäcker, ein Pferd vielleicht auf einen feschen Soldaten. Wem das Bleigießen zu aufwändig war der stellte einfach eine Schüssel mit Wasser aufs Fensterbrett, die entstandenen Eisblumen ließen sich ebenso deuten.
Jetzt gieß i mein Schatz durchs Schlüsselloch na,
I will sehe, was er für a Handwerk ka.
(Sulz)
Ein genauso verbreiteter Brauch war früher bei den ledigen Mädchen das ‚Pfulbentreten‘. Mal wurde die Pfulbe, das Kopfkissen, auf den Boden geworfen und drauf getreten, mal musste man sich nackt auf das am Boden liegende Kissen werfen, mal wurde mit dem Fuß ans Bettende gestoßen, jedenfalls konnte man dann im Traum denjenigen erblicken, der einen übers Jahr zum Altar führen würde.
Thomas ich bitt dich,
Bettstatt ich tritt dich,
Du wollest mir lassen erscheinen
den Herzallerliebsten meinen.
(Balingen)
Da hatten es die Mädchen in Schwäbisch Gmünd einfacher. Dort reichte es schon aus, um Mitternacht das Ohr an die Ofenkachel zu legen und zu lauschen. Aus dem gehörten Geräusch konnte man mit einiger Fantasie Rückschlüsse auf den zukünftigen Liebsten schließen. Glaubte man das Rauschen eines Getreidefeldes zu erkennen, so sollte es ein Bauer werden, klang es metallen, dann war’s vielleicht der Sohn des Schmieds.
Doch nicht nur zu Liebeszwecken wurde in der Thomasnacht in die Zukunft geblickt. Auch andere wichtige Ereignisse des kommenden Jahres konnte man vorhersehen. Besonders einfach hatten es die Leonberger. Dort genügte es, in der Thomasnacht an einem Birnbaum zu klopfen. Der erzählte einem dann was sich im kommenden Jahr zutragen würde. Deutlich komplizierter war da ein Brauch aus der Gegend um Gerabronn. Ein noch nicht siebenjähriges Mädchen musste in der Thomasnacht eine Rolle Garn spinnen. Der älteste Bruder musste daraus Stück Stoff verweben. Ein Hemdchen aus solchem Stoff genäht sollte Glück bringt übers Jahr.
Auch berufliche Fragen wurden beantwortet. Wollte man wissen was man werden wird, so notierte man mehrere Handwerke auf Zettel und legte diese unter das Kopfkissen. Um Mitternacht zog man einen der Zettel hervor und wusste, welches Handwerk man erlernen sollte.
Die Sage vom Butterfass
In Waiblingen soll es einst in einem fast verfallenen Haus, das einem geizigen reichen Mann gehörte, nicht geheuer gewesen sein. Darin befand sich ein Butterfass, das die Eigenschaft besaß, demjenigen, der es in Bewegung setzte, sein zukünftiges Schicksal zu offenbaren. Man musste nämlich ein Ohr auf die Öffnung des Fasses legen. Glockengeläut bedeutete den baldigen Tod, Musik zeigte die bevorstehende Verheiratung an. Das Geräusch gab auch Hinweis auf den Beruf des zukünftigen Schatzes, ein dem Dreschen ähnliches Geräusch deutete zum Beispiel auf einen Bauern hin.
Eine unschuldige Magd vernahm einmal am Thomasabende im Butterfass ein lautes Glockengeläut und soll bald darauf gestorben sein. Und seit diesem Tag soll am Thomasabend das Mädchen in jenem Haus am Butterfass stehen und bereit sein, jedem Sonntagskinde Aufschluss über seine Zukunft zu geben.
Raunächte – Geschichten zwischen den Jahren
Stadtführung zu Mythen, Geschichten und Aberglaube in den ‚Zwölften‘
Sonntag 27.12.2015 15:30 Uhr
Tickets über die TouristInfo Waiblingen
Beitragsbild: Gisela Pfohl, aus ‚Geister, Trolle, Totenköpfe‘, Verlag Iris Förster