Zwölf wilde Nächte Vol. 3

Der Wode und die wilde Jagd

Wodan, die Hauptgottheit der Germanen, hatte einen ganz besonderen Platz in den Weihnachtstagen. Viele Sagen und Überlieferungen berichten von dieser brachialen Gestalt, die, stets begleitet von einer großen Sippschaft von Hexen, Truden, Geistern und anderen unheimlichen Gestalten, in den Raunächten über die schneebedeckte Landschaft gebraust sein soll – Wodesheer, Muetesheer oder auch die wilde Jagd oder das wilde Heer genannt. Sogar der Teufel selbst samt seiner Großmutter hat zu dieser Gefolgschaft gehört. Der Wode ritt auf einem mächtigen weißen Ross, Jäger zu Fuß und wilde Hunde mit lautem Gebell folgten ihm.

Mit Fackelschein und Höllenlärm, lauten Gesängen, Glockengeläut, Peitschenknallen und wildem Geschrei kündigte sich der Zug an, so dass Alt und Jung in die Wohnstube flüchten konnten. Wer sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, hatte sich flach auf den Boden zu werfen und das Gesicht zu verbergen. Keinesfalls durfte man den Kopf heben und dem wilden Heer bei seinen Umtrieben zuschauen, denn dann verlor man auf der Stelle sein Augenlicht. Ansonsten sei das Muetesheer zwar unheimlich, aber nie böse oder feindselig gewesen.

Zeiten, in denen diese Erscheinungen besonders häufig aufgetreten sind, folgten oft furchtbare Naturkatastrophen.

Die Sage vom fliegenden Schimmel
Wenn in den zwölf heiligen Nächten um den Waiblinger Kirchenhügel der eisige Nordwind fegt, dann geschieht es oft, dass durch die nächtlichen Nebelschwaden ein weißer Hengst daherrast. Er bricht urplötzlich hinter der Friedhofsmauer aus der mondbeschienenen Nacht hervor und ehe der, der ihn erblickt, sich versieht, ist er auch schon wie ein Wirbelwind vorüber. Auf weißen Flügeln schwebt er dahin, leicht wie ein Vogel, und nimmt seinen Weg in die tiefe Nacht. „Der Fliegende Schimmel in den heiligen Nächten„ sagen die Menschen zu dieser Erscheinung. Dem aber, der den Schimmel gesehen hat, geschieht im neuen Jahr großes Glück.

In einem kleinen Dorf soll das Muetesheer alljährlich durch ein bestimmtes Haus gezogen sein. Dort wurden deshalb immer Fenster und Türen aufgesperrt, sobald man es kommen hörte. Einmal dachte der Hausherr, er wolle doch aufbleiben und sehen, wie es bei diesem Spuk zugehe. Er blieb deshalb in der Stube sitzen, als es wieder durchzog. Da hörte er eine Stimme sagen: „streich dem do d‘ Spältle zu!“ Und alsbald war es ihm, als ob ihm jemand mit dem Finger über die Augen fahre. Von Stund an war er blind. Und kein Mittel auf der Welt wollte helfen, ihm das Augenlicht wieder zu verschaffen. Da riet ihm jemand, wenn das Muetesheer wieder durchfahre, sich wieder an den gleichen Platz zu setzen. Das tat er, und als die wilde Jagd im nächsten Jahr übers Land zog, da hörte er wieder eine Stimme, die sprach: „streich dem da d‘ Spältle wieder auf!“ Und von dem Augenblick an war er wieder sehend.

Der Weihnachtswind
Wenn um Weihnachten ein tüchtiger Wind geht, daß die Bäume sich bewegen, so sagt man „…d‘ Baim rammelet (begatten sich), s‘ gibt guats Obst“ (Derendingen)

 

Raunächte – Geschichten zwischen den Jahren
Stadtführung zu Mythen, Geschichten und Aberglaube in den ‚Zwölften‘
Sonntag 27.12.2015 15:30 Uhr
Tickets über die TouristInfo Waiblingen

Beitragsbild: Gisela Pfohl, aus ‚Geister, Trolle, Totenköpfe‘, Verlag Iris Förster

Zwölf wilde Nächte Vol. 2

Die Thomasnacht

Die Nacht auf den 21. Dezember ist die längste, dunkelste, unheimlichste Nacht des Jahres. Deswegen verband man diese schier endlose Nacht und den darauffolgenden kürzesten Tag mit der Geschichte des Apostel Thomas, des Zweiflers.

Besonderes Brauchtum hatte seinen Platz in dieser Nacht, in der nach der Vorstellung der Menschen böse, unheilbringende Gestalten besonders lange und intensiv umgingen. Junge Männer hatte die verantwortungsvolle Aufgabe aufzupassen, dass die Geister in dieser Nacht nicht die Oberhand gewinnen konnten. Also musste man wach bleiben und sich Mut antrinken, deswegen nannte man die Thomasnacht auch „Durchsitznacht“, den Morgen danach „Kotzmorgen“.

Die Thomasnacht als erste der zwölf Raunächte war traditionell mit dem Aberglauben verbunden einen verstohlenen Blick in die Zukunft werfen zu können, insbesondere auf die Liebschaften des kommenden Jahres.

Zeige mir den Liebsten mein,
wenn es klopft ruf ich herein.
(Schorndorf)

Wie teilweise auch in der Weihnachts- und der Silvesternacht war ein verbreiteter Brauch das Bleigießen. Ein ausgedienter Schlüssel mit durchlöchertem, bestenfalls kreuzförmigem Bart wurde eingeschmolzen und in kaltem Wasser abgeschreckt. Das so entstandene Gussstück erlaubte einen Blick in die Zukunft. So konnte man durch die Form auf den Beruf des zukünftigen Mannes schließen. Ein Messer deutete auf einen Metzger, eine Bretzel auf einen Bäcker, ein Pferd vielleicht auf einen feschen Soldaten. Wem das Bleigießen zu aufwändig war der stellte einfach eine Schüssel mit Wasser aufs Fensterbrett, die entstandenen Eisblumen ließen sich ebenso deuten.

Jetzt gieß i mein Schatz durchs Schlüsselloch na,
I will sehe, was er für a Handwerk ka. 
(Sulz)

Ein genauso verbreiteter Brauch war früher bei den ledigen Mädchen das ‚Pfulbentreten‘. Mal wurde die Pfulbe, das Kopfkissen, auf den Boden geworfen und drauf getreten, mal musste man sich nackt auf das am Boden liegende Kissen werfen, mal wurde mit dem Fuß ans Bettende gestoßen, jedenfalls konnte man dann im Traum denjenigen erblicken, der einen übers Jahr zum Altar führen würde.

Thomas ich bitt dich, 
Bettstatt ich tritt dich, 
Du wollest mir lassen erscheinen
den Herzallerliebsten meinen.
(Balingen)

Da hatten es die Mädchen in Schwäbisch Gmünd einfacher. Dort reichte es schon aus, um Mitternacht das Ohr an die Ofenkachel zu legen und zu lauschen. Aus dem gehörten Geräusch konnte man mit einiger Fantasie Rückschlüsse auf den zukünftigen Liebsten schließen. Glaubte man das Rauschen eines Getreidefeldes zu erkennen, so sollte es ein Bauer werden, klang es metallen, dann war’s vielleicht der Sohn des Schmieds.

Doch nicht nur zu Liebeszwecken wurde in der Thomasnacht in die Zukunft geblickt. Auch andere wichtige Ereignisse des kommenden Jahres konnte man vorhersehen. Besonders einfach hatten es die Leonberger. Dort genügte es, in der Thomasnacht an einem Birnbaum zu klopfen. Der erzählte einem dann was sich im kommenden Jahr zutragen würde. Deutlich komplizierter war da ein Brauch aus der Gegend um Gerabronn. Ein noch nicht siebenjähriges Mädchen musste in der Thomasnacht eine Rolle Garn spinnen. Der älteste Bruder musste daraus Stück Stoff verweben. Ein Hemdchen aus solchem Stoff genäht sollte Glück bringt übers Jahr.

Auch berufliche Fragen wurden beantwortet. Wollte man wissen was man werden wird, so notierte man mehrere Handwerke auf Zettel und legte diese unter das Kopfkissen. Um Mitternacht zog man einen der Zettel hervor und wusste, welches Handwerk man erlernen sollte.

Die Sage vom Butterfass

In Waiblingen soll es einst in einem fast verfallenen Haus, das einem geizigen reichen Mann gehörte, nicht geheuer gewesen sein. Darin befand sich ein Butterfass, das die Eigenschaft besaß, demjenigen, der es in Bewegung setzte, sein zukünftiges Schicksal zu offenbaren. Man musste nämlich ein Ohr auf die Öffnung des Fasses legen. Glockengeläut bedeutete den baldigen Tod, Musik zeigte die bevorstehende Verheiratung an. Das Geräusch gab auch Hinweis auf den Beruf des zukünftigen Schatzes, ein dem Dreschen ähnliches Geräusch deutete zum Beispiel auf einen Bauern hin.

Eine unschuldige Magd vernahm einmal am Thomasabende im Butterfass ein lautes Glockengeläut und soll bald darauf gestorben sein. Und seit diesem Tag soll am Thomasabend das Mädchen in jenem Haus am Butterfass stehen und bereit sein, jedem Sonntagskinde Aufschluss über seine Zukunft zu geben.

 

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Beitragsbild: Gisela Pfohl, aus ‚Geister, Trolle, Totenköpfe‘, Verlag Iris Förster

Zwölf wilde Nächte Vol. 1

Die Raunächte

Am 21. Dezember ist Wintersonnenwende, die längste Nacht des Jahreskreises. Es beginnen die sogenannten Raunächte, die vom 21. Dezember bis zum 6. Januar seit Alters her als eine Zeit der Geister und Seelen, des Aberglaubens und des traditionellen Brauchtums gelten. Diese Zeit des Wechsels war und ist eine Zeit des Kampfes des Tags mit der Nacht, des Lichts mit der Finsternis, des Guten mit dem Bösen. Die Sonne gewinnt, die Tage werden wieder länger und die Natur beginnt Kraft zu sammeln für den kommenden Frühling.

Die dunkle, kalte und unheimliche Zeit um die Wintersonnenwende hat die Menschheit schon immer beeindruckt und beschäftigt und wurde schon in vorchristlicher Zeit mit besonderen Ritualen begangen. Es war eines der wichtigsten germanischen Feste und wurde, wie die Tag- und Nachtgleiche im Frühling und Herbst und die Sommersonnenwende, mit großen Feuern gefeiert. Die heidnischen Tieropfer wurden in christlicher Zeit durch große Festessen abgelöst wurden – daran erinnert heute noch unser Weihnachtsgebäck. Christliche Missionare nutzten derartigen Aberglauben für ihre Zwecke und feierten die Geburt Christi als die auf die Erde gekommene Sonne. Vielerorts gelten die Raunächte als eine Spukzeit, überall erscheinen Geister und Seelen. Gegen die Gefahren, die von diesen dunklen Mächten drohten, musste man sich durch mannigfaltigen Aberglauben sichern.

So galt es, sich ruhig zu verhalten um die Aufmerksamkeit der Geisteswesen nicht auf sich zu ziehen, man musste Haus und Hof aufgeräumt und ordentlich halten, alles Ackergerät musste unter Dach sein. Man räucherte (Rauh=Rauch) die Wohnstätten, die Ställe und auch die Menschen mit Weihrauch und verschiedenen Kräutern aus. Der Rauch galt als Abwehrzauber für böse Geister, die Krankheit, Naturkatastrophen und Unglück im kommenden Jahr bringen konnten und gleichzeitig auch als Begrüßung  für freundlich gesonnen Geister- und Sagengestalten, deren Besuch man erwartete. Ställe und Häuser wurden außerdem mit Kreuzen versehen, um die bösen Gestalten fern zu halten. Nichts durfte verliehen werden, man musste sogar beim Stallausmisten vorsichtig sein, damit man „das Glück nicht außer Haus gibt“. Auch übermäßige Arbeit war verboten, man durfte nicht spinnen und auch keine Wäsche waschen, damit sich das Unglück nicht darin verfängt.

Wer in dieser Zeit eine Tür laut zuschlägt, wird im nächsten Sommer vom Blitz getroffen. 

Weiße Punkte, die in diesen Tagen an den Nägeln der rechten Hand auftauchen, bedeuten dass man im neuen Jahr Geld oder neue Kleider geschenkt bekommt. An den Nägeln der linken Hand aber bedeuten Sie, dass man im ausgehenden Jahre gelogen hat…

 

Raunächte – Geschichten zwischen den Jahren
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Beitragsbild: Gisela Pfohl, aus ‚Geister, Trolle, Totenköpfe‘, Verlag Iris Förster