Der Wode und die wilde Jagd
Wodan, die Hauptgottheit der Germanen, hatte einen ganz besonderen Platz in den Weihnachtstagen. Viele Sagen und Überlieferungen berichten von dieser brachialen Gestalt, die, stets begleitet von einer großen Sippschaft von Hexen, Truden, Geistern und anderen unheimlichen Gestalten, in den Raunächten über die schneebedeckte Landschaft gebraust sein soll – Wodesheer, Muetesheer oder auch die wilde Jagd oder das wilde Heer genannt. Sogar der Teufel selbst samt seiner Großmutter hat zu dieser Gefolgschaft gehört. Der Wode ritt auf einem mächtigen weißen Ross, Jäger zu Fuß und wilde Hunde mit lautem Gebell folgten ihm.
Mit Fackelschein und Höllenlärm, lauten Gesängen, Glockengeläut, Peitschenknallen und wildem Geschrei kündigte sich der Zug an, so dass Alt und Jung in die Wohnstube flüchten konnten. Wer sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, hatte sich flach auf den Boden zu werfen und das Gesicht zu verbergen. Keinesfalls durfte man den Kopf heben und dem wilden Heer bei seinen Umtrieben zuschauen, denn dann verlor man auf der Stelle sein Augenlicht. Ansonsten sei das Muetesheer zwar unheimlich, aber nie böse oder feindselig gewesen.
Zeiten, in denen diese Erscheinungen besonders häufig aufgetreten sind, folgten oft furchtbare Naturkatastrophen.
Die Sage vom fliegenden Schimmel
Wenn in den zwölf heiligen Nächten um den Waiblinger Kirchenhügel der eisige Nordwind fegt, dann geschieht es oft, dass durch die nächtlichen Nebelschwaden ein weißer Hengst daherrast. Er bricht urplötzlich hinter der Friedhofsmauer aus der mondbeschienenen Nacht hervor und ehe der, der ihn erblickt, sich versieht, ist er auch schon wie ein Wirbelwind vorüber. Auf weißen Flügeln schwebt er dahin, leicht wie ein Vogel, und nimmt seinen Weg in die tiefe Nacht. „Der Fliegende Schimmel in den heiligen Nächten„ sagen die Menschen zu dieser Erscheinung. Dem aber, der den Schimmel gesehen hat, geschieht im neuen Jahr großes Glück.
In einem kleinen Dorf soll das Muetesheer alljährlich durch ein bestimmtes Haus gezogen sein. Dort wurden deshalb immer Fenster und Türen aufgesperrt, sobald man es kommen hörte. Einmal dachte der Hausherr, er wolle doch aufbleiben und sehen, wie es bei diesem Spuk zugehe. Er blieb deshalb in der Stube sitzen, als es wieder durchzog. Da hörte er eine Stimme sagen: „streich dem do d‘ Spältle zu!“ Und alsbald war es ihm, als ob ihm jemand mit dem Finger über die Augen fahre. Von Stund an war er blind. Und kein Mittel auf der Welt wollte helfen, ihm das Augenlicht wieder zu verschaffen. Da riet ihm jemand, wenn das Muetesheer wieder durchfahre, sich wieder an den gleichen Platz zu setzen. Das tat er, und als die wilde Jagd im nächsten Jahr übers Land zog, da hörte er wieder eine Stimme, die sprach: „streich dem da d‘ Spältle wieder auf!“ Und von dem Augenblick an war er wieder sehend.
Der Weihnachtswind
Wenn um Weihnachten ein tüchtiger Wind geht, daß die Bäume sich bewegen, so sagt man „…d‘ Baim rammelet (begatten sich), s‘ gibt guats Obst“ (Derendingen)
Raunächte – Geschichten zwischen den Jahren
Stadtführung zu Mythen, Geschichten und Aberglaube in den ‚Zwölften‘
Sonntag 27.12.2015 15:30 Uhr
Tickets über die TouristInfo Waiblingen
Beitragsbild: Gisela Pfohl, aus ‚Geister, Trolle, Totenköpfe‘, Verlag Iris Förster